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20 Dez 2020
Tontafel Summa Izbu

Magische Fragmente: Geschichte der Magie in Mesopotamien III

3. Kapitel: Die Magier und Magierinnen

In unserer magischen Zeitreise durch Mesopotamien haben wir die drei Quellen kennengelernt, von denen wir erfahren können, wie vor 5.000 Jahren in Mesopotamien gezaubert wurde. Doch wer waren die Menschen, die sich dieser Magie bedienten? Welche Unterschiede gab es und in welchen Kontexten waren diese Magier und Magierinnen zu sehen?

3.1. Die Exorzisten

Mesopotamien bestand aus Babylonien, südlich des heutigen Iraks, und Assyrien im Norden. Die dort verfassten magischen Texte in Keilschrift sind der Zunft der Exorzisten zuzuordnen: asiputu. Die babylonische Tradition behauptete sogar, dass die magischen Texte ursprünglich direkt vom Gott des Wissens und des Exorzismus Enki (sumerisch) /Ea (akkadisch) geschrieben wurden.

Der assyrische Exorzist (asipu auf Akkadisch) war ein Mann, dessen Beruf direkt verknüpft war mit den Reinheitsritualen in den Tempeln, obwohl er auch Heil- und Schutzrituale gegen Krankheiten durchführte. Da viele dieser Krankheiten einen unbekannten und dadurch dämonischen Ursprung hatten, mussten die Exorzisten hier ihre Leistung anbieten. Um Krankheiten mit einem offensichtlich natürlichen Ursprung kümmerten sich die asu, sagen wir mal „Physiker“. Aber einen genauen Unterschied zu machen zwischen Exorzisten- und medizinischen Zünften, also zwischen asiputu und asutu, ist nicht korrekt, da sich beide Berufe oft ergänzten. In den Zauberformeln ist manchmal unklar, ob der asu oder der asipu sie ausführen sollte. Auf jeden Fall war es die Aufgabe der asipu (wortwörtlich „der Übel sammlende“)oder auch auf Babylonisch mašmaššu (wortwörtlich „der Formel flüsternde“), wenn sich ein künftiges Übel anbahnte, dieses mit Hilfe der Zaubersprüche und Rituale abzuwenden.

Aber woher haben die asipu gewusst, dass sich ein Übel anbahnte und ihre Dienste erforderlich waren? Sie mussten den Omen folgen, die andere ZauberInnen namens baru gedeutet hatten.

3.2. Die baru

Es gab eine ähnliche Figur wie die asipu, die oft weiblich war: die Wahrsagerin oder Omengutachter baru. Diese mussten unter anderem die Ursachen von Krankheiten oder anderen Problemen finden. Genauer gesagt, die baru mussten die Verbindung zwischen Omen und Übel herstellen.

Die Übel, die die Menschen erlitten, waren kein Zufall. Alles war von den Göttern festgelegt und man musste daher die Omen finden und interpretieren, die das Vorhaben der Götter erklärten.

Aber die Götter ermangelten in diesem Sinne der Eigeninitiative um den Menschen mitzuteilen, was sie vorhatten, sodass die baru eine schwierige Aufgabe vor sich hatten. Zum Glück war die Realität voller Zeichen, auch wenn sie schwierig zu interpretieren waren. Die Realität der mesopotamischen Kultur ist als Offenbarung zu verstehen, wenn auch eine schwierig zu verstehende Offenbarung. Die baru bemühten sich also, die Zeichen in der „weichen Realität“ zu interpretieren, wie zum Beispiel in den Eingeweiden, Ölflecken oder in den Missbildungen einer Fehlgeburt.

Wenn eine Erkrankung einen dämonischen Ursprung hatte, musste man zuerst wissen, welcher Dämon sie verursacht hatte und warum der Dämon gerade verärgert war. Genauso verhielt es sich mit den Göttern. Die baru befragten ihre Götter und Göttinnen direkt und verwendeten dafür Tontafeln mit Fragen, die nur mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten. Die Antworten waren nicht unbedingt konkret, da die baru hauptsächlich Zeichen beobachteten und als „wahrscheinlicher“ oder „unwahrscheinlicher“ interpretierten. Nichtsdestotrotz gab es sehr ausführliche Kataloge mit Omen und den dazugehörigen Interpretationen, die diese Aufgabe einfacher machten. Diese Kataloge wurden im III. Jahrtausend v.u.Z. angefangen und bestanden im I. Jahrtausend aus tausenden Texten in Keilschrift, die jedes mögliche Omen eingeordnet hatten.

Es wurde behauptet, dass der Anfang der Wissenschaft in diesen Katalogen zu finden sei. Die mesopotamische Kultur hat alle natürlichen Phänomene katalogisiert um ihre schwer zu begreifende Welt etwas fruchtbarer zu konfrontieren. In manchen Gegenden war es besonders schwer, da es dort zum Beispiel kaum oder zu viel regnete. Aus diesem Grund und um die Realität sozusagen besser zu verstehen, haben sie alles dokumentiert, wie zum Beispiel welche Sterne zu sehen sind, wenn es besonders kalt ist oder welche Ereignisse mit den Mondphasen zu sehen waren. Die minuziöse Arbeit, die Bestandteile der Welt einzuordnen, brachte eine genauere Art und Weise mit sich, die Realität zu betrachten. So kann diese systematische Arbeit als erster Vorläufer eines wissenschaftlichen Blicks auf die Welt gesehen werden.

Tontafel Summa Izbu
The British Museum, 33048001, CC BY-NC-SA 4.0

Ein sehr berühmter magischer Katalog ist unter dem Namen šumma izbu bekannt. Diese Zeile bildete den Anfang der verschiedenen Omina und bedeutet „falls ein missgebildeter Fötus…“. Hier ein sehr interessantes Beispiel:

„Falls eine Frau gebiert und (der Fötus) zwei Köpfe hat – dann wird es einen grausamen Angriff gegen das Land geben und der König wird seinen Thron verlieren”1

Der Kopf des Fötus wurde mit dem König assoziiert, sowie der Nacken mit der königlichen Macht, da der Nacken den Kopf mit dem Körper verbindet. Missbildungen in diesen Körperteilen waren daher besonders wichtige Omen.

Die baru gehörten zwar nicht zur Zunft der Exorzisten oder Magier, arbeiteten jedoch auch direkt im Palast und bekleideten einen hohen Rang in der Gesellschaft. Die Zeichen der Götter waren nicht nur medizinischer Natur sondern gaben zu allen Aspekten des menschlichen Lebens Auskunft. Aus diesem Grund waren die baru sehr wichtig. Sie konnten die politische, soziale und kulturelle Realität interpretieren, vorhersagen und dadurch bestimmen. Die Regierungen ließen sich von den Weissagungen der baru beraten, bevor sie irgendeine wichtige Aktion durchführten.

Die Assoziation der Magie mit der politischen Macht ist ein Phänomen, welches die gesamnte Geschichte der Menschheit durchzieht und in diesem Chanel zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden wird. In meiner Masterarbeit habe ich diesem Thema ein Kapitel gewidmet. Dort (http://www.march.es/storage/bibliodata/teatro/magia/1259856.pdf) findet ihr Informationen über andere Magier, die Entscheidungen von Hitler, George W. Bush in der Zeit des Irak-Kriegs oder von der französischen Regierung in der Kolonial-Zeit bestimmt haben, sowie Anekdoten von der Machtübernahme Fidel Castros in Cuba.

3.3. Die Magie im Außenbezirk

Im Gegensatz zu diesen Magiern und Magierinnen mit hohem Rang wird auch über bestimmte Magier und Medizinmänner berichtet, die als Schlangenbeschwörer (muslahhu) die Straßen Mesopotamiens durchquerten. Da diese nicht so beliebte Art von Magiern keine Beziehung zur geschriebenen Tradition hatte, können wir über sie leider nur indirekt etwas erfahren. Sie wurden von den offiziellen Magiern hauptsächlich als Praktizierende der illegalen und bösen Magie bezeichnet. Auch in den Beschwörungsformeln gegen Hexerei im Reich von Akkad, das vor Babylonien und Assyrien in Mesopotamien herrschte, kann man Rückschlüsse darauf ziehen, wie die kassaptu und der kassapu, also die Hexe und der Hexenmeister illegale Aktivitäten durchführten.

Im nächsten Kapitel vertiefen wir die feinen Unterschiede zwischen den sogenannten weißen, schwarzen und eher grauen Formen der Magie und öffnen eine Tür für die Überlegung, ob ein Ursprung der Magie im Sinne der Zauberkunst in der Entwicklung der Performativität der echten Magie zu finden sei.

Hauptbibliographie und online-Quellen

· Collins, David J. (Hgst.), The Cambridge History of Magic and Witchcraft in the West. From Antiquity to the Present. Cambridge University Press, New York 2015.

· Sanmartín, Joaquín, Historia del Próximo Oriente. Mesopotamia y Egipto. Akal, Madrid 2018.

· Suárez de la Torre, Emilio et. al. (Hgst.), Ablanathanalba. Dykinson, Madrid 2020.

· De Zorzi, Nicla, The Omen Series SUMMA IZBU: Internal Structure and Hermeneutic Strategies. Kaskal, Firenze 2011.

1 Nicla De Zorzi 2011, p. 55

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Magier, Philosoph, Kunsthistoriker, Genießer

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